Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
Montag, 30. November 2009
901.
Am Montagmorgen erwachte der klitzekleine Forschungsminister kurz bevor die anderen EinSatzKräfte kamen, es war unbequem gewesen auf der Fensterbank, der Buchhalter hatte ihn nicht geweckt, und die Welt schien sich auf eine Weise weiter zu drehen, die ihm Unbehagen bereitete, obwohl er doch durchaus daran gewöhnt sein konnte.
Sonntag, 29. November 2009
900.
Es ist eine bemerkenswerte Zahl, sagte der Buchhalter, schade nur, daß wir uns irgendwie doch mit Siebenmeilenschritten den letzten EinSätzen nähern, können wir das vielleicht noch einmal diskutieren, man gewöhnt sich doch so an die eigene Existenz, mag sie auch so virtuell sein wie sie will, und warum kommt Mo nicht mit der B-Ebene rüber, und wie ist das eigentlich mit der Geschichte von der absurdesten Fahndungspanne der Welt, hatte da nicht der Mr. Precuneus was versprochen, aber es war Sonntag, außer dem Buchhalter war nur das Faxgerät anwesend und in Alarmbereitschaft, alle Computer aus, der Buchhalter übte Logarithmen unelektronisch, und irgendwo zusammengerollt auf einer der Fensterbänke schlief der klitzekleine Forschungsminister, denn der wollte im Eigenexperiment erkunden, wie es einem Mediziner ergeht, der das ganze Wochenende nicht aus seiner Schicht kommt, das sind auch so Fragen, die eine EinSatzLeitung wenigstens anmerkungsweise mal klären muß, hatte er gesagt und den Buchhalter beauftragt, ihn gelegentlich mit dringlicher Stimme zu wecken, um auch hier realistische Bedingungen zu simulieren, aber der Buchhalter fand das entweder zu blöd oder war zu träge oder er ahnte nicht, daß diese Sache noch Folgen würde haben können.
Samstag, 28. November 2009
899.
Wieder keine Einladung an die Vögel herausgeschickt, sagte der Diskurswart, was soll das noch geben, und die Chefin sagte dem Demokratiebeauftragten, erklären Sie es ihm, der Demokratiebeauftragte aber sagte, ich habe hier gerade noch die Eingabe des klitzekleinen Forschungsministers, er möchte bitte erläutern, daß er in einer in irgendeinem Text getanen Äußerung über Ehe und Familie, die anscheinend von irgendwelchen Konservativen als Freibrief zur Erpressung monogamen Verhaltens und von irgendwelchen Freaks als Bedrohung des Grundrechts auf Ehescheidung mißverstanden worden sei, nichts weiter habe sagen wollen als daß in vielen Menschen der Wunsch nach einer monogamen Ehe angelegt sei, welcher sich auch mit den Erfordernissen eines gesellschaftlichen Lebens in Würde und Respekt bestens vereinbaren lasse, aber natürlich habe er - ausgerechnet - mit der Anerkennung dieses Wunsches, der für manche Menschen ein Ideal werde, das Recht, Menschen, die anders fühlen, anders leben, mehrere Anläufe mit verschiedenen Menschen brauchen oder ganz einfach völlig anders orientiert seien, schlechter zu stellen als diejenigen, die das relativ seltene Glück haben usw., was soll das denn, fragte der Demokratiebeauftragte, wozu diese langen Ausführungen, und die Chefin sagte, mir hat er es gesprächsweise so erklärt, daß er einen großen Auftritt in Verurteilung aller Versuche, Menschen unter eine bestimmte symbolische Ordnung zu pressen und da als Fahnen laufen zu lassen, vorbereite, und es sei gegen einige der Vögel erforderlich, hier in Erläuterung früherer Äußerungen die Grenzen zwischen den Verfechtern solcher Fahnentypen und seiner grundliberalen Auffassung sehr deutlich zu ziehen, Sie wissen doch, diese Vollblutakademiker ebenso wie die Künstler tun sich etwas schwer damit, die Dinge handlich zu machen, und sie sind ja auch nicht dazu da, das zu tun, eine Gesellschaft, die sich keine fürs Komplizierte zuständigen Menschen außerhalb irgendeiner eng umgrenzten Käfighaltung mehr leistet, hat doch abgedankt, ist Verwertungsgemeinschaft geworden, und so redeten sie hin und her, bis der Buchhalter kam und mit dem Diskurswart gemeinsam fand, man müsse nun diese Einladung herausschicken, die Chefin aber beschied, man solle lieber später und dann eine gut vorbereitete Konferenz einberufen als schlecht vorbereitet diese Vogelleute einladen, deren Machtverhalten doch bekannt sei.
Freitag, 27. November 2009
898.
Mo sah kurz auf und sagte, sie sitze an was, aber sie müsse sich sehr die Ohren zuhalten, um es zustande zu bringen, denn von den Trommelklängen aus dem Medienbusch kämen ihr allzu viele allzu bekannt vor, ach ja, sagte die Kreativleitung, und bot ihr ein Paar Kopfhörer an, extra klein, mit Musik ihrer Wahl.
Donnerstag, 26. November 2009
897.
Meine liebe kleine Mo, sagte der klitzekleine Forschungsminister (wobei er sich sehr anstrengen mußte, nicht kleines Mo zu sagen, denn das klang doch viel liebevoller, aber es, aber es, es wollte das ja nicht gelten lassen, und um sich keine beleidigte Schulterzuckerei einzufangen, mußte er wohl oder übel die korrekte Anrede wählen), ich vermisse Deine kleinen B-Ebenen, da war schon länger nichts mehr, mir scheint, Du bist zu oft unterwegs, und es ist doch ein wenig schade, aber Mo, aber Mo, Mo schleckte sich nur die Finger sauber vom Honig und sagte, ich habe einen alten Brief von einer Marianne Hoppe gefunden und noch einen von einem Mann, den man Momolo nannte, und ich denke eben noch nach, und damit sprang sie mit einem gewagten Satz vom Tischchen, trippelte aus dem "Bistro" und verfing sich fast im langen Mantel der Dame Ö, welche soeben angerauscht kam, wütend vor sich hin schnaubend, meine natürliche Autorität einsetzen um - what? - um für irgendwen die Polizeifrau zu spielen, also wer bin ich denn bitte, und Herr X., der Milchzar aus Nieder- oder Obersachsen, welchen sie im Schlepptau mit sich führte, sagte mit einem flehenden Blick, aber verstehen Sie denn nicht, ich brauche eine Frau, die mich richtig festhält, und Dame Ö, anstatt sich geschmeichelt zu fühlen, brach nun in mehr als Schnauben aus, ja und Sie glauben wirklich, Frauen hätten nicht anderes zu tun als jemanden, der sich selbst nicht bei ihnen halten kann, nun ihrerseits festzuhalten, ich muß doch sehr bitten, kein Wunder, daß Ihnen Ihre Geliebte abhanden gekommen ist, aber daß Sie - sagte sie dann mit einem etwas versöhnlicher werdenden Tonfall - sogleich zu uns eilen, um sich zu beklagen und unseren Rat einzuholen, das freut uns natürlich, eine Bemerkung, die zu Mos und des Klitzekleinen Erstaunen tatsächlich etwas wie ein entspannteres Fastlächeln auf das Gesicht des Niedersachsen zauberte.
Mittwoch, 25. November 2009
896.
Guck mal, was ich hier Schönes gefunden habe, sagte der Kwaliteitswart begeistert, denn irgendwie mußte es doch gelingen, die allgemeinste Verteidigung aufzuheitern, die einigermaßen sauer war, weil sie am Wochenende zum Hausboot hatte fahren wollen, nun aber wegen einer Veranstaltung in Berlin bleiben mußte, eine ganz tolle Sache über die Puppe dieses Surrealisten, schwärmte der Mann, ach, seufzte die Frau, war das nicht der, der die Ansicht hegte, der Mann im Haus erspart den Therapeuten, na, sagte die allgemeinste Verteidigung, schon wieder grinsend, der Mann im Haus erspart die Axt, würde ich sagen, aber gute Ergebnisse in Sachen Axtersatz werden zuweilen auch von Wanzen und versteckten Kameras erzielt ... du unterhältst dich zu oft mit diesem durchgeknallten Sicherheitsbeauftragten, antwortete der Kwaliteitswart nach kurzem Zögern, and the bad mood was all his, lachte Mr. Precuneus, der in höherem Auftrag am anderen Ende einer Wanze alles mit anhörte.
Dienstag, 24. November 2009
895.
Da habt ihr mir ja was eingebrockt, sagte die Dame Ö am anderen Morgen der Kreativleitung und einem Mo, welches von seinem Kranich-Ausflug noch hochzufrieden vor sich hin schmunzelte, ist euch eigentlich klar, was es bei manchen Leuten bewirkt, wenn sie Filmausschnitte wie die gestern eingestellten sehen, und die Kreativleitung sah dem Gesicht der Dame die Spuren einer gepeinigten Nacht an, ging auf sie zu, nahm sie in den Arm (es war etwas schwierig, denn die Dame trug wieder eine ihrer steiferen Eigenkreationen) und sagte, lassen sie dich immer noch nicht in Ruhe mit ihren lästigen Fragen und Ausforschungen, worauf die Dame Ö sich nach kürzestem Entspannen schnell wieder straffte, losmachte, die Braue hob und sagte, natürlich nicht, da ist anscheinend einerseits jemand sehr besorgt, ich könnte mich mit dieser Filmmaus identifiziert und irgendwen in meiner Phantasie nicht freigegeben haben, und andererseits möchte plötzlich jemand an meine „wahren weichen Gefühle herankommen,“ an meine, also ich muß doch sehr bitten, wenn er es bei den Jüngeren versuchen würde, haltet euch bloß jung, Kinder, schmunzelte sie dann, denn wenn sie erst ihre Mutterprobleme an euch ausagieren, weil ihr in das Alter gekommen seid, dann wird es noch schlimmer, dann müssen sie euch als letzte Liebesgabe etwas wie einen Segen entreißen, während man sie eigentlich nur sich selbst überlassen und nichts weiter mit ihnen zu schaffen haben möchte, und die Kreativleitung lächelte ihr freundliches Lächeln und sagte, jaja, es ist ja nicht so, daß nichts davon zu uns durchdränge, aber ist es nicht viel schöner, selbst eine Spielerin in der Sache zu sein als immer nur der Ball, und sollten wir uns nicht, trotz der wirklich bescheuerten Rolle, die von der schreibenden ungarischen Baronesse hier der Heldengattin nur erlaubt wird, für einen Moment lieber mit Sir Percy identifizieren, da mußte Dame Ö auch lachen und sagte, ich wußte gar nicht, daß du neuerdings wieder Sinn für diese Spiele entwickelt hast, warst du nicht noch zu Beginn deiner Tätigkeit unbeschreiblich weiblich, und die Kreativleitung antwortete, man läßt den Damen nur allzu selten eine andere Wahl, nun gut, muß man sich dann sagen, wenn sie es immer noch so brauchen, dann spielen wir nach ihren Mustern, halten uns den Blick trotzdem frei, und geben dann eben wieder den regredierten Clown, nein?
Montag, 23. November 2009
894.
Nachdem der erzählende Kranich bei fast schon verstörend mildem Wetter mit der gesamten Kreativabteilung einen Sonntagsspaziergang durch die Stadt unternommen hatte, gelegentlich dessen er Mo und dem kleinen Brachvogel zeigte und erläuterte, wieso er ein so besonderes Attachement (das müssen Sie jetzt französisch aussprechen) zu Berlin empfinde, daß er es vorziehe, seine Artgenossen ohne ihn in den Winter des Südens fliegen zu lassen - er hatte nämlich kostbares Gedenken an einen alten Vorfahren im Wappen der Familie Mendelssohn gefunden und mußte dieses immer mal wieder ansehen, so wie die Kreativleitung immer gern in den Hof der Jägerstraße 54 trat, um wohlgefällig das Haus zu betrachten, in dem früher die Treffen bei Rahel Levin stattgefunden hatten - schlug er vor, man könne doch noch einen bestimmten Film sehen, den er zwar in vielem entsetzlich kitschig finde, der aber auch sehr komische Seiten habe, man müsse freilich die Version von 1934 sehen, und so holten sie sich gemeinsam eine Kopie des Films Scarlet Pimpernel und erfreuten sich insbesondere an den künstlich debilen Auftritten des großen Helden.
Sonntag, 22. November 2009
893.
Während die Chefin und Dame Ö mit dem jeweiligen Nachwuchs diskutierten (und sie diskutierten noch lange), hatte die Kreativleitung den Kwaliteitswart und Mr. Precuneus zu einer kleineren Unterredung eingeladen, denn sie hatte schwere Bedenken gegenüber der Einladung der Vogelwelten, nicht so sehr wegen Mo, die wirke auf sie nun schon seit längerem ausgesprochen ruhig und munter, sondern wegen dieser unerquicklichen und anscheinend unentscheidbaren Debatten mit dem pestigsten der Pestvögel, welcher, kaum erzähle man ihm von je nach Produktion erforderlichen verschiedenen Arbeitsweisen mit den entsprechenden Einstimmungsphasen (wozu er einen nötige mit seinem ewigen Geschraster von Effizienz usw.), anfange, mit seinen Kollegen über bipolare Störungen zu faseln, und wenn man sich hinreißen lasse, auf seine Fragen nach Wahl und Einsamkeit und Energierecourcen usw. zu antworten, in ein psychotechnokratisches Gewäsch verfalle, bei dem die kritisch aufmerksame Zuhörerin ebenso wie der der Sache nach ja mit Pestvogels Anliegen völlig einverstandene obere Brachvogel nichts weiter als Zwangsverfamiliarisierung mit beliebigem, durch Druck "zusammenzuschweißendem" Partner (ausgewählt nach ebenfalls wieder sehr technischen Kriterien) hören könne, und sie verstehe nicht, wie man diesem geistig-seelisch minderbemittelten, zur Demokratie nur dem Scheine nach reifen Vogelpack auch nur eine Bühne bieten, geschweige denn, wie man auf die Idee verfallen könne, diesen Rotten ausgerechnet die Kreativabteilung zum Fraße vorwerfen zu können, und der Kwaliteitswart war ziemlich genervt von der Beunruhigung der Dame, sie könne doch mal ein bißchen gelassen sein, meinte er, während Mr. Precuneus sagte, man müsse in der Tat mit der Chefin sehr deutlich reden, denn die Vogelwelt sei ihrer Selbstdefinition nach tatsächlich nicht in der Lage, eine gleichberechtigte Gesprächssituation auch nur zu ertragen, geschweige denn aufrecht zu erhalten, es handele sich nun einmal um Raubvögel, die von den Eiern lebten, welche andere Vögel legten, da sei man mit "postkolonialem Diskurs" völlig machtlos, nach seiner Erfahrung helfe es nicht einmal, ihnen klar zu machen, daß eine Welt, in welcher es nur Pestvögel und Brachvögel und nach ihren Maßstäben zurechtgestutzte andere Wesen gebe, nicht einmal die Pestvögel und Brachvögel selbst würde tragen können, insofern sei diese Angelegenheit tatsächlich something for the security, aber vor allem eine besonders schwere Herausforderung an den Diskurswart und die Chefin selbst.
Samstag, 21. November 2009
892.
Was ich nicht begreife, sagte Nachwuchs Ö, der sich allmählich wieder in eine Balance gebracht, sein Studium wieder aufgenommen hatte und nun mit seiner Mutter am Frühstückstisch der Chefin und ihres Kindes saß, ist, wie du es aushalten kannst, ohne irgendeinen Mann oder eine Frau zu leben, jetzt, da ich auch nur noch zu Besuch komme, und da das Kind der Chefin sich der Frage mit Blick auf die Mutter anzuschließen schien, antwortete diese für beide Damen: wir werden euch sicher nicht verraten, wie das geht und was der Grund ist, nur eines solltet ihr bitte nie vergessen – und hierbei wandte sie sich, die Braue der Dame Ö ignorierend, ausschließlich ihrem Kind zu – wenn ich liebe, wie ich dich liebe, dann so dauerhaft und innig, wie ich dich liebe, und darum schwafle ich nicht darüber herum, sondern lasse es die fühlen, die ich liebe, beantworte aber in Kampfgesprächen nur Fragen, die meine Kampfseite betreffen, und allein bin ich vielleicht, weil die Menschen oft gerade die Erfüllung jedenfalls der guten oder der vernünftigen ihrer Forderungen am wenigsten ertragen können, lieber zerren und zuckeln sie in meiner Generation an einer Frau, die sie zu erfüllen versucht, ohne ihr eigenes Gefühlswesen zu verleugnen, solange herum, bis sie sie in eine ihrer Ecken gestellt haben, Heilige, Hure oder sonstewas, denn alles, was nicht in diese Schemata passt, ertragen sie nicht, und wenn man das sehr gründlich begreifen mußte, wird man außer einem Kind zuhause niemanden mehr wollen, dem man es wieder und wieder zu erklären hätte, aber man hält ihnen natürlich, wo immer man kann, Spiegel vor, die man sehr sorgfältig in einsamer Arbeit oder guter Kooperation mit dieser würdigen Menschen erarbeitet.
Freitag, 20. November 2009
891.
O, das war ganz schlecht, sagte Karomütze, als es blitzte, zu dem Demokratiebeauftragten, welcher an diesem Tag auf dem Beifahrersitz des schwarzen Alfa saß, ich habe schon so viele Punkte, und der Demokratiebeauftragte sagte, man soll auch nicht Auto fahren wie ein Tausendsassa, sondern die BVG benutzen und ordentlich aufpassen, das kann auch nur einer sagen, der keine Ahnung hat von Sicherheitsfragen, wütete Karo, und überhaupt, und plötzlich mußte der Demokratiebeauftragte seine lähmende Langmut mit ziemlicher Gewalt gegen sich selbst aufrechterhalten, denn Karo schäumte und kochte weiter, diese Deutschen, die haben sowieso einen Knall, sagt mein neuer Freund Mr. Precuneus, kaum haben sie mal ein starkes Erlebnis wie diese Sache mit der Mauer, werden sie süchtig, wollen überall Mauern zu Fall bringen, Grenzen überwinden, Menschen miteinander ins Gespräch bringen, Verständnis wecken und was nicht alles, er meint, die merken gar nicht, daß das nur eine neue Uniform ist, mit der sie ihre gewalttätigen Menschenmacherphantasien ausleben, was sagen Sie dazu, sagte er plötzlich, denn er merkte, daß der Mann neben ihm irgendwie anfing, Techniken des Ruhigbleibens zu exerzieren, und der Demokratiebeauftragte sagte, wir haben doch den Precuneus auf diese Beobachtung gebracht, und nun geht er damit hausieren, und die, die ihn geschickt haben, bringt er immer noch nicht davon ab, auf alle möglichen schleimigen Weisen Verständnis für die barbarischsten Eroberungsfeldzüge ergaunern zu wollen, und Karo sagte, woher wollen Sie das denn schon wieder wissen, also wer steckt hier eigentlich mit wem unter welchen Decken, und was ist eigentlich unsere Aufgabe?
Donnerstag, 19. November 2009
890.
Der erzählende Kranich hatte die EinSatzLeitung wieder verlassen und seinen alten Lieblingsplatz an einem großen brandenburgischen See bezogen, in der Nähe einer seltsam leicht und fast italienisch wirkenden, recht nah am Wasser gebauten Kirche, die seinem Gemüt wohltat allein durch den Anblick ihrer ausgewogenen Formen und der Farben ihrer Ziegelhaut, er genoß hier die für die Jahreszeit zu warmen Tage und streifte so durch die Uferbepflanzung, um zu hören, ob er nicht diese oder jene Winzigkeit aufschnappen könne für seinen nächsten Aufenthalt in der Kreativabteilung, in welcher die Dame Ö soeben das Fenster aufriß, froh, daß alles von Federn gereinigt worden war und man sich wieder bewegen konnte wie in einem kultivierten Raume, es war ja hier mehr wie in einem Hühnerstall, sagte sie zu Mo, die sie mit einem kleinen wehen Blick erstaunt ansah.
Mittwoch, 18. November 2009
889.
Am Mittwochabend verließ die Chefin als letzte die EinSatzLeitung, hochzufrieden mit ihrem Tagewerk, versonnen vor sich hinlächelnd, denn es war ihr gelungen, eine Einladung an die Vogelscharen aufzusetzen, mit der sie hoffen durfte, noch das letzte der widerwärtigen Tiere verschreckt zu haben: Schlauberger vermuten in schlecht formulierten Einladungen solche Finten, und erst am Vorabend hatte sie interessante Verschwörungstheorien gehört, nach denen gewisse Leute, die des odium humani generis im allgemeinen sehr verdächtig seien, ihre Selbstverteidigungsnöte regelmäßig durch vorbeugende Schläge selbst provozierten, und niemand hatte gesagt, daß das Verschwörungstheorien seien, auch sie selbst nicht, denn immerhin gibt es in der Welt politische Ränke, und die Chefin hatte sich nur zu Dingen äußern wollen, von denen sie etwas zu verstehen glaubte, aber mitgenommen hatte sie ganz etwas anderes, nämlich Lust auf das zweifelhafte Vergnügen, einmal nicht die Position des Opfers eines solchen Ränkespiels zu imaginieren, sondern die einer Ränkeschmiedin, gleichsam im Selbstversuch, und sie hatte sehr gestaunt, wie gut sich das anfühlte - zugleich aber hatte sie als die am Schreibtisch sitzende bemerkt, daß ihr die Idee, sich wirklich nicht mehr um Verstandenwerden auch in einer gewissen das Übliche übersteigenden komplexeren Gedankenwelt zu bemühen, mehr Unbehagen bereitet hatte als der gewohnte Stress jener vergeblichen Versuche, den Belehrungen und Durchschauereien der umgebenden Kleinkrämer einen ernsten, freundlichen Widerspruch entgegenzusetzen, und dieses als Ergebnis fand sie, aus welchen Gründen auch immer, irgendwie gut, fröhlich pfeifend zog sie die Tür hinter sich zu und sah gerade noch, wie der alte Kollege Pestvogel angerauscht kam und schnell wieder abdrehte, denn eigentlich hatte er die Idee gehabt, in ihren Papierkörben ein Argument für seine Theorien zu finden, schrieb man nicht beständig von versteckten Krankheiten, Korruptionen und dergleichen, die mußten da einfach was verstecken, so wie die schon guckte, und die Chefin sah den Pestvogel wieder mit dieser doch garantiert unechten Freundlichkeit an, grüßte ihn und sagte, Sie brauchen nicht weiter zu suchen, Kollege, ich gestehe alles, ich lüge unaufhörlich und in Wahrheit ist alles so wie Sie es sagen, ich lüge, ich lüge, und Sie haben es herausgefunden, Sie und Ihr grandioses Team, und sie lachte, aber die Tür blieb ihm verschlossen.
Dienstag, 17. November 2009
888.
Ich schwöre, es ist nicht wegen der Zahl, daß wir uns heute in letzter Minute zu Wort melden, hackte die Kreativleitung in die Tastatur, wir sind wirklich nicht abergläubisch, oder allenfalls der klitzekleine Forschungsminister klammheimlich, sondern wir haben einfach die Zeit nicht gefunden, es war so viel zu tun, und dann habe ich mich auch geärgert, weil sich die Chefin und Mr. Precuneus die ganze Zeit über Mo und mich unterhalten haben, und über den durchgeknallten Karo, während der Buchhalter herumschrie, so eine Zahl, und keiner macht was, ja, was soll man da dann machen?
Montag, 16. November 2009
887.
Am anderen Morgen saß Mr. Precuneus schon im „Bistro,“ als die Chefin hereinkam, die vor allen anderen ihren Kaffee zu holen pflegte, denn ihr Amt, anders als das frühere, brachte die Notwendigkeit eines gewissen Abstandes zu den anderen EinSatzKräften mit sich, ein Umstand, der sie manchmal noch ein wenig schmerzte (besonders, wenn aus gewissen Rängen das ins Gewöhnliche spielende Blahblah des Ressentiments ertönte, welchem sie offene Kritik entschieden vorzog, aber es haben eben nicht alle Leute diesen Schneid), üblicherweise hatte sie sich jedoch daran gewöhnt und wahrte also den Abstand mit einer gewissen Resignation, stets froh über alle Gelegenheiten, bei denen er innerhalb des üblichen Rahmens auch mal überwunden werden konnte, und nun war sie überrascht, von diesem Praktikanten, der irgendwie immer so viel mehr zu sein schien als ein Praktikant, mit einem breiten Lächeln begrüßt zu werden, guten Morgen sagte er, guten Morgen sagte sie, und irgendwie geschah es, daß er sich erhob und neben sie trat, und sie sagte nach kurzem Überlegen, vielleicht möchten Sie Ihren Kaffee in meinem Büro mit mir trinken, ich habe den Eindruck, Sie hätten doch etwas auf dem Herzen – worauf Mr. Precuneus, welcher sich allmählich an die unzeremoniöse Direktheit in der EinSatzLeitung gewöhnt hatte, einen kleinen abwehrenden Impuls (: was bildet die sich denn ein, ich hatte sie abfangen wollen, um sie mal in Verlegenheit zu sehen und wie sie wirklich ist, sie soll morgens immer etwas daneben sein, stattdessen gibt sie hier die Souveräne und lädt mich ein, so geht das nicht :) überwinden mußte, von dem er selbst wußte, daß er wohl mehr aus den Hormonen als aus irgendeiner die EinSatzLeitung betreffenden Überlegung kam, und sie nahmen einander gegenüber Platz und begannen, sich ein wenig über die jeweiligen Befindlichkeitn, Herkünfte und Umstände zu unterhalten, bald aber mehr über Karomütze und sein Verständnis von Sicherheitsfragen sowie über die eigentümliche Position der Kreativleitung und Mos, über die Precuneus sich nicht genug wundern konnte.
Samstag, 14. November 2009
886.
Was hat dich eigentlich damals bewogen, Sicherheitsbeauftragter werden zu wollen, fragte die Schwester des Oberassistenten Karomütze, als dieser gemeinsam mit dem Oberassistenten bei ihr am Sonntagsbrunchtisch saß, und Karomütze sagte, ich war auf den Fall eines Menschen getroffen, welcher in völliger Unwissenheit über das, was man mit ihm trieb, gehalten wurde und einfach keinen Zugang zu validem Wissen bekam, zugleich aber selbst so gewissenhaft war, daß er sich (es war ein frommer jüdischer Mensch) strikt an das Gebot hielt, niemanden eines Kapitalverbrechens zu beschuldigen (ihm schien bereits die Beschuldigung einer Verurteilung gleichzukommen), wenn er nicht mindestens zwei glaubwürdige Zeugen habe, und dieser Mensch konnte sich, weil er einfach die Wirklichkeit, in der er lebte, nur erahnen, aber nicht klar erkennen konnte, einfach nicht befreien und litt entsetzlich, am schlimmsten war für ihn, daß er zwar neben üblen Feinden auch Förderer an seiner Seite spürte, die aus dem Hintergrund agierten, aber nicht einmal diese wagten es, das, was Rufmörder ihnen als Beweisstück zugespielt hatten, um sie gegen ihn aufzubringen, ihm vorzulegen und ihn danach zu befragen, so daß er keine Gelegenheit bekam, Dinge wirklich zu klären und unter Freunden wie Feinden gleichermaßen leiden mußte, jederzeit in völliger und ahnungsvoller Unwissenheit darüber, was wirklich gespielt wurde, und es wäre doch einfach nur Klarheit gewesen, was ihm hätte helfen können - da habe ich gedacht, Menschen wie diesem möchte ich helfen können, und da ich in jener Zeit unseren ehemaligen Chef kennenlernte, der mich sehr ermunterte, meine Kampfsportausbildung durch andere technische und kommunikative Elemente zu ergänzen, habe ich das gemacht, und ja, so wurde ich Sicherheitsbeauftragter der EinSatzLeitung, und der Oberassistent riß sich sehr zusammen, denn er wollte diese kleine Anbandelei nicht stören, mochte er persönlich auch keinen Geschmack an der etwas überschätzten "Heiligenstory" des unter seiner karierten Mütze immer noch mit ziemlich wilden Locken beschopften Schlitzmauls haben.
885.
Als Nachwuchs Ö am Wochenende einem seiner Freunde von der Arbeit seiner Mutter erzählen wollte, wußte er nicht so recht, was er eigentlich sagen sollte, die haben da so einen Diskretionsfimmel, sagte er, sie erzählen manchmal ganz schön peinliche Sachen, aber sie haben zum Beispiel ein striktes Verbot, Namen von Kindern zu nennen, sie verraten kaum, ob die ganz kleinen Kinder Mädchen oder Jungen sind, aber zugleich erzählen sie den wüstesten und wildesten Unsinn aus dem Innenleben der diversen Figuren, und das alles nennen sie einen "literarischen Blog" und behaupten sogar, er hätte etwas mit richtigen Einsätzen zu tun, obwohl seit mehr als zwei Jahren niemand versteht, was eigentlich, so wie auch keiner so genau weiß, was es mit all den komischen Tieren, insbesonder Vögeln auf sich hat, und in welcher Beziehung es zu den Musikfilmen steht, die sie immer so schubweise ausgraben, aber irgendwie ist meine Mutter daran immer noch beteiligt, sagte er, und hat noch nie Einspruch eingelegt, wenn wieder mal einer sich über ihre Augenbraue lustig gemacht hat, und sein Freund sagte, meine Mutter ist Sachbearbeiterin in einer Hausverwaltung, und ich finde, das ist eigentlich ein ganz guter Job.
Freitag, 13. November 2009
884.
Die Kreativleitung, als sie Mo das am Morgen übliche Tellerchen mit Apfelscheiben und Ahornsirup vorsetzte, war durch die Funde aus den Jazz-Archiven ein wenig beschwingt und stellte Mo die Frage, wie ausgerechnet sie plötzlich auf die Idee verfallen sei, einen Pianisten zu zeigen, da sie doch sonst eher allergisch reagiere, und sie rechnete mit irgendeiner empörten Zerfahrenheit, Mo aber antwortete fröhlich schmunzelnd, die Pianos können ja nichts dafür, daß mich mein Wärter so genervt hat, und außerdem kann man, wenn man sehr belästigt wird von Sachen, die einem durchaus als "eigene" untergeschoben werden sollen, wie das die Herrschaften Pestvögel, auf deren Besuch wir uns hier vorbereiten, doch immer wieder versuchen, schließlich nur so reagieren wie der alte Arlo, dachte ich, also entweder so, oder indem man eben einfach mal zeigt, wie es richtig geht - das machen Aretha und ihr Pianist doch sehr gut, und die Kreativleitung staunte nicht schlecht.
Donnerstag, 12. November 2009
883.
Während in der EinSatzLeitung noch bis in den Abend auf die Einbestellung der Vogelwelt hingearbeitet wurde, waren der Kwaliteitswart und die allgemeinste Verteidigung mit ihrem Nachwuchs für ein verlängertes Wochenende auf dem Hausboot angekommen (immerhin hatte der Kwaliteitswart das vorausgegangene Wochenende mit den auszubildenden zukünftigen Gutachtern reichlich angestrengt verbracht, und der "Erziehungsurlaub" der allgemeinsten Verteidigung war noch nicht ganz zuende), aber während die junge Frau nach Fütterung des Kindes sich auf dem Sofa ein wenig von dem leisen Schaukeln des Bootes einwiegen ließ, wohlgefällig die langen Gräten und den üppig geschwungenen Mund ihres Liebsten betrachtend, sauste dieser mit seinen Blicken im Flimarchiv herum und murmelte ein wenig fahrig, manchmal wäre ein Buchhalter auch hier gut, oder weißt du noch, in welchem EinSatz wir die erste Folge von "A song is born" hatten, ich dachte, die zweite könnte man der EinSatzLeitung für das bevorstehende Spektakel anbieten, immerhin kommt darin eine tolle Version von "Mocking Bird" vor...
Mittwoch, 11. November 2009
882.
Der Chefin kam das Protokoll Karomützens fast - wenn auch auf eher dialektische Weise - entgegen, ebenso einige Einwendungen der Kommentatoren, konnte sie so doch in aller Ruhe wieder einmal zeigen, daß es auf ihren Zähnen durchaus Haaransätze gab, und sie bestellte der Leitung Öffentlichkeit, es sei an der Zeit, den Herrschaften Pestvögeln, die sich ja nun immer wieder bemerklich machten mit unfaßbar debilen pseudowissenschaftlichen News aus ihren Branchen, alltäglich gespült auf die Monitore der EinSatzLeitung, einmal eine Einbestellung zuzustellen, am besten zu einer Fortbildung von der Art, wie der Kwaliteitswart sie seit einiger Zeit erfolgreich an Begutachtungsaspiranten betreibe, da ist noch Luft drin, sagte sie, nur maßvoll grinsend, sehr viel heiße Luft, auf die sie so stolz sind, unsere mit einem gewissen ideologischen Erbe etwas zu entspannt umgehenden Pseudopazifisten, Psychologisten, Versöhnungskitschler und Alarmisten, und eine kleine Vogelschule zur gefälligen Entlastung von einer gewissen Neigung zu verschmockter Verblödung könnte doch sehr nützlich sein, übrigens auch interessant für Brachvögel und Kunstfreunde, stellen Sie sich vor, lachte sie der Leitung Ö am Telefon zu, da habe ich doch tatsächlich neulich in einer Ausstellung einen Satz über eine Kunst gelesen, welcher die Vergeblichkeit der sinnlichen Strebungen als dasjenige klassifizierte, was diese Kunst auszeichne, und ich habe gedacht, die sollten doch auch mal ein bißchen Nachhilfe bekommen, die so etwas schreiben, die wissen doch gar nicht, was sie sagen, und ich meine, Dame Ö wäre für die Kursleitung nicht die schlechteste Besetzung, was meinen Sie?
Dienstag, 10. November 2009
881.
Sitzung der EinSatzLeitung
Anwesend: Chefin, Kreativleitung (nebst Mo), Leitung Ö (nebst Kleinchen), Dame Ö, Sicherheitsbeauftragter, Buchhalter, Demokratiebeauftragter, Oberassistent, Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, Minderheitler mit grünen Borsten, Kwaliteitswart, Diskurswart, Komplexitätswart, Mr. Precuneus
Entschuldigt: Der klitzekleine Forschungsminister (Erforschung des neuen Virus im Selbstversuch), Verteidigung K (Angst vor Viren und um ihr Kind)
Protokoll: Karomütze
Tagesordnung:
1. Rede der Chefin über die allgemeine Ordnung
2. Sicherheitsfragen und Demokratie
3. Verschiedenes
TOP 1:
Die Chefin redet und redet und redet, sehr allgemein, sehr unverständlich, aber allen zu Gefallen. Alle hören zu und klatschen. Niemand widerspricht. Manche schlafen.
TOP 2:
Der Demokratiebeauftragte redet und redet und redet, sehr allgemein, sehr unverständlich, aber allen zu Gefallen. Alle hören zu und klatschen. Niemand widerspricht. Manche schlafen.
TOP 3:
Der Kwaliteitswart schlägt vor, einem Herrn Twombly eine Kooperation vorzuschlagen, es müßte doch möglich sein, aus dem Spruch "Amsterdam wil ook een Muur," welchen er am 12. Oktober 1983 in der Herrentoilette einer Kruezberger Kneipe gesehen haben will, ein echtes Kunstwerk zu machen. Die Chefin ermuntert, rät aber, sich nicht so viel Hoffnung zu machen, Herr Twombly neige nicht dazu, sich bei seiner Produktion dreinreden zu lassen. Der Buchhalter verdreht die Augen. Mo macht hustend ein fürchterliches Spektakel, da kriegen alle Angst vor der Schweinegrippe und die Sitzung wird überstürzt beendet.
(Erst nachträglich korrigiert der Kwaliteitswart im Protokoll das in der Urfassung schlechte Niederländisch, Karo war einfach zu selten in Amsterdam, obwohl weit und breit keine Mauer zu sehen ist)
Anwesend: Chefin, Kreativleitung (nebst Mo), Leitung Ö (nebst Kleinchen), Dame Ö, Sicherheitsbeauftragter, Buchhalter, Demokratiebeauftragter, Oberassistent, Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, Minderheitler mit grünen Borsten, Kwaliteitswart, Diskurswart, Komplexitätswart, Mr. Precuneus
Entschuldigt: Der klitzekleine Forschungsminister (Erforschung des neuen Virus im Selbstversuch), Verteidigung K (Angst vor Viren und um ihr Kind)
Protokoll: Karomütze
Tagesordnung:
1. Rede der Chefin über die allgemeine Ordnung
2. Sicherheitsfragen und Demokratie
3. Verschiedenes
TOP 1:
Die Chefin redet und redet und redet, sehr allgemein, sehr unverständlich, aber allen zu Gefallen. Alle hören zu und klatschen. Niemand widerspricht. Manche schlafen.
TOP 2:
Der Demokratiebeauftragte redet und redet und redet, sehr allgemein, sehr unverständlich, aber allen zu Gefallen. Alle hören zu und klatschen. Niemand widerspricht. Manche schlafen.
TOP 3:
Der Kwaliteitswart schlägt vor, einem Herrn Twombly eine Kooperation vorzuschlagen, es müßte doch möglich sein, aus dem Spruch "Amsterdam wil ook een Muur," welchen er am 12. Oktober 1983 in der Herrentoilette einer Kruezberger Kneipe gesehen haben will, ein echtes Kunstwerk zu machen. Die Chefin ermuntert, rät aber, sich nicht so viel Hoffnung zu machen, Herr Twombly neige nicht dazu, sich bei seiner Produktion dreinreden zu lassen. Der Buchhalter verdreht die Augen. Mo macht hustend ein fürchterliches Spektakel, da kriegen alle Angst vor der Schweinegrippe und die Sitzung wird überstürzt beendet.
(Erst nachträglich korrigiert der Kwaliteitswart im Protokoll das in der Urfassung schlechte Niederländisch, Karo war einfach zu selten in Amsterdam, obwohl weit und breit keine Mauer zu sehen ist)
Montag, 9. November 2009
880.
Die Chefin gibt bekannt, daß die Sitzung der EinSatzLeitung aus gegebenem Anlaß auf den morgigen Tag verschoben wird, und wünscht allen zu den verschiedenen heute zu bedenkenden Anlässen die richtigen Gedanken.
Sonntag, 8. November 2009
879.
Der erzählende Kranich hatte für ein paar Tage Wohnung genommen in der Kreativabteilung, von wo aus er ein und aus flog, oft nahm er Mo mit, Sie müssen es sich so ähnlich vorstellen wie bei Nils Holgerson und den Gänsen mit den finnischen Zahlen als Vornamen, Mo war über die Ausflüge sehr glücklich, die Kreativleitung hatte zu tun (sie spinnt, sagte der erzählende Kranich, man gibt ihr nichts, man hält sie kurz, man ist mies zu ihr, man läßt sie hängen und versucht sie umzubauen, will ihr Sympathien für Leute und Arbeiten abquetschen, die sie doof findet, und Sympathien abgewöhnen, wo sie Leute und Arbeiten mag, man erzählt ihr, daß sie alles falsch macht, wenn sie klagt, fährt man ihr über den Mund, sie soll mal ihre Eigenverantwortung erkennen, und wenn sie sagt, tu ich, und wenn ich aus der die Konsequenz ziehe, setze ich meine Qualifikationen in Zukunft ein, um euch alle über den Tisch zu ziehen, indem ich euch schlechte Häuser als gute verkaufe und dabei endlich Geld verdiene, und ihr könnt mich mal, dann sagt man ihr, sie soll sich mal ein bißchen bemühen, mal bei einer Sache bleiben, auch mal verzichten usw., dabei verzichtet sie dauernd auf alles, mehr als eine von den anderen EinSatzKräften, obwohl man ihr das auch noch als krankhaftes Verhalten auslegt, in alledem hat sie keine Chance, und was macht sie, sie bunkert sich trotzdem ein und liefert trotzdem dauernd irgendwelche ziemlich anständigen Produkte, die sonst keiner liefern könnte, sie muß wirklich einen ernsten Schaden haben, sagte der erzählende Kranich zu Mo, als er eines Morgens mit ihr ausflog, um den Streit der Kormorane und der Fischer aus der Nähe zu besehen, und was kann man denn da tun, Mo sagte, ich versuche es gerade über Precuneus, den scheint sie zu mögen, und die Chefin schützt sie ja auch, wir könnten ihr ein schönes Glas Honig mitbringen oder eine Blume, der Kranich sagte, wie sollen wir das bitte transportieren, ich bin ja ein starker Junge, aber du bist mir eigentlich schon schwer genug) und die Dame Ö blieb, wenn sie konnte zuhause, er ist ein bißchen eingebildet, aber erzählt schön, er ist auch insgesamt ein durchaus ordentliches Tier, sagte sie, aber diese Federn, und sie nieste viel.
Freitag, 6. November 2009
878.
Heute, in unserer dritten Sitzung, wollen wir aus gegebenem Anlaß ein wenig über das Wesen der Probe räsonnieren, sagte der Kwaliteitswart, welcher ein Wochenendseminar unterrichtete in allgemeiner Begutachtungskunde, es gibt hier grob gesagt zwei Typen, der eine Typ (ab jetzt Typ 1) ist der normale: je besser im Training, desto besser auch in der Realität oder im Wettbewerb oder im Ernstfall, der andere Typ (ab jetzt Typ 2) ist der Pechstein-Typ, der uns hier aus gegebenem Anlaß besonders interessiert: der kann das Training nicht ernst nehmen und bringt regelmäßig volle Leistung nur im Ernstfall, der hat generell ein Problem mit Plänen und Konzepten einerseits, mit den Standards "gleichmäßiger Affektlagen" andererseits, weil seine Weise, vorausschauend zu sein, ein ungeheures Spektrum umfasst, das die Instinktreaktion im Ernstfall enorm verbessert, aber auch dazu führt, daß er überall da, wo angebliche Belastbarkeit und Gleichmaß angeblich getestet werden, aus demselben Grund, aus dem er im Ernstfall für besonders viele Lagen einen besonders guten Instinkt hat, aus der Kurve fliegt, denn dieser Typ wird durch alle Arten von "Fake" massiv irritiert, weil er sie fast immer bemerkt und sich über Leute ärgert, die so etwas ohne Not mit ihm machen; dieses Phänomen, das wir hier den Typ 2 im Umgang mit Belastungen nennen wollen, hat wiederum Auswirkungen auf das Begutachtungswesen im allgemeinen, da der Gutachter als solcher immer nur mit virtuellen Situationen arbeiten kann, durch sein Hinzutreten jeder wirklichen Situation eine Aura von "Fake" verleiht und ganz grundsätzlich nur für den ersten Typ zu irgendeiner brauchbaren Aussage kommen kann, während er sich auf den zweiten, für den er nie zu einer sinnvollen Aussage kommen kann, lediglich destruktiv auswirkt - weshalb ich Sie eigentlich mit dieser Einsicht nachhause schicken könnte, aber das wäre dumm von mir, ich will ja mit Ihnen etwas Geld verdienen, machen wir uns also daran, aus dieser Feststellung, die jeder Lebenserfahrene bestätigen wird, unsererseits eine Begutachtung fehlerhafter Gutachten zu machen, so lernen Sie auch gleich am meisten für den Ernstfall, sogar für Gutachter vom Pechstein-Typ - und er wunderte sich, daß in der zweiten und dritten Reihe etliche Leute zu gähnen oder zu tuscheln anfingen, denn er hatte sich von seiner bahnbrechenden Einsicht und ihrer endlichen Bekanntgabe doch etwas mehr Wirkung versprochen.
877.
Du glaubst nicht im Ernst, daß heute einer nachguckt, ob noch was kommt, sagte der Demokratiebeauftragte zur Kreativleitung, als diese sein Ansinnen, mit ihm irgendwo mal abhotten zu gehen, mit der Begründung ablehnte, sie müsse noch einen EinSatz schreiben, dann dachte er, er müsse ihr auch etwas anbieten, und sagte: wenn du unbedingt was schreiben willst, schreib, daß ich mich maßlos darüber aufrege, wenn Leute Demokratie als Exportartikel des Westens bezeichnen, fertig, da machte die Kreativleitung runde Augen.
Donnerstag, 5. November 2009
876.
Mr. Precuneus, after having poured some six bottles of bear on top of his fervent admiration for the musical performance of his Beninian buddy during the celebration of the Blue Note Label in the Jewish Museum of Berlin, was in need of professional transportation, in order to arrive safely at his new home.
Mittwoch, 4. November 2009
875.
Wie üblich beschwerte sich die Chefin nicht über den EinSatz des Buchhalters, sondern bedankte sich unüberschwenglich für seine Bereitschaft, einen Satz zu schreiben, sie selbst sei von der Kreativleitung zwar pünktlich des Morgens angerufen und über einen Ausfall wegen schwerer Erkältungssymptome unterrichtet worden, habe aber versäumt, Ersatz zu bestellen, zu engagiert sei sie gewesen in der Bearbeitung anderer Anfragen, und erst nach dieser Einleitung sagte sie, es ist aber unklug, solche Sätze zu schreiben, sehen Sie, da sind doch immer Leute, Eins-zu-Einsler und andere, die dann gleich Bummelei vermuten, und übrigens sprechen Sie das Berlinerisch eines typischen Zugereisten aus der rheinischen Provinz, seit wann leben Sie eigentlich hier?
Dienstag, 3. November 2009
874.
Der Letzte macht det Lüscht aus, murmelte der Buchhalter, als er nochmal durch alle Räume ging, aber dann sah er, daß das Kreativbüro anscheinend den ganzen Tag über leer geblieben war, es war ungeheizt, Mos Fell nicht am Platz, der Teppich so sauber wie am Morgen nach dem Durchmarsch der Reinigungskräfte, der Computer kalt, ja haben wir denn heute gar keinen EinSatz, fragte er entgeistert, haben wirklich alle nur nach Washington geschaut, oder was war los?
Montag, 2. November 2009
873.
Der Montag war so verregnet, daß man erst nach Sonnenuntergang aufleben konnte, fand der Demokratiebeauftragte, der wetterfühlig war, und anstatt dem fetzigen Vorschlag der Leitung Öffentlichkeit zu folgen, hatte er mit dem ebenfalls eher verdrießlich an den großen Pflanztopf gelehnten klitzekleinen Forschungsminister ein Gespräch geführt, welches auf seinem Höhepunkte (!) ungefähr so verlaufen war: was ist eigentlich Ihrer Meinung nach schlechte Theorie, hatte der Klitzekleine gefragt, und der Demokratiebeauftragte hatte geantwortet, na, eine, die sich nicht als allgemeingültig erhärten lässt natürlich, ha, hah, hahahahahah, habe ich Sie, hatte da der Restforschungsmininster gerufen und war aufgeregt auf der Fensterbank hin und her gerannt, den Eifer gleichsam mit den Beinen wegtretend, das Gegenteil ist der Fall, rief er, indem er einen Radiergummi von der Fensterbank kickte, das genaue Gegenteil, und, konzilianter werdend, als er sah, wie dem Demokratiebeauftragten das Kinnlädchen fiel, jedenfalls in den Humanwissenschaften ist eine Theorie umso schlechter, je allgemeiner sie ist, je mehr sie also von der Einzelheit und Einzigkeit des Einzelnen absieht und glaubt, Rezeptlein vergeben zu dürfen für das Zusammenleben hie und da, ohne zu bedenken, daß für einen eine Sache funktionieren kann, die für einen anderen überhaupt nicht funktioniert, und daß für A mit B nicht gelten muß, was für A mit C gelte usw., aber das ist doch eine auf Allgemeingültigkeit bedachte Theorie, was Sie da aufstellen, sagte empört der Demokratiebeauftragter, schon daß Sie A und B sagen, zeigt doch, wie sehr Sie selbst verallgemeinern, wenn auch nur die Nichtverallgemeinerbarkeit, also Sie sind mir vielleicht einer, ist ja kein Wunder, daß Sie so klein sind, und da setzte sich der klitzekleine Forschungsminister resigniert wieder auf das ausgetrocknete Stempelkissen und sagte, ich gebe zu, die Theorien, die ganz und gar versuchen, sich auf das Einzelne zu werfen, die sind noch nicht sehr weit gediehen, aber trotzdem dürfen Sie mir doch zugeben, daß es schlechte Theorie ist, wenn man unterdifferenziert arbeitet und die schlechthinnige Untheoretisierbarkeit der letzten menschlichen Dinge nicht beachtet, aber sicher, sagte der Demokratiebeauftragte, und verzeihen Sie bitte, daß ich mir einen Augenblick der Häme nicht verkniffen habe.
Sonntag, 1. November 2009
872.
Wir wirken anscheinend stilbildend, murmelte die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit so schläfrig wie selbstzufrieden, als sie nach ausgiebiger Frühgymnastik nun ihren Morgengrüntee und die fürs Wochenende zuständige Zeitung in Arbeit nahm, während ihr Kindchen nach durchkrähter Nacht friedlich in seinem Bettchen lag, und der Herr am anderen Ende des Tisches, der jede einzelne Nacht bereute, die er in diesem Haushalt zubrachte, denn es war immer laut, sagte, ihr seid schon ein bißchen eingebildet, vor allem du, du hast doch ewig nichts mehr beigetragen, ach du Armer, sagte die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit und tunkte ihr Giabattabrot in das leckere Olivenöl, das sie sich in diesem Laden mit den Ölzapfstellen in hübsche kleine Fläschchen zu füllen und zum Frühstück dann in kleinen Schälchen auf die Teller zu stellen pflegte, du hast wieder schlecht geschlafen nicht, aber was mehr kann ich machen als das Kleine etwas herumzutragen, wenn es nachts schreit, und trotzdem dann und wann eine halbe Stunde schlafen, tut mir dennoch leid, daß du es so ungemütlich hast bei uns, aber guck mal, lies mal selbst, es ist als hätten die Redakteure dieser Wochenzeitung in ihrem Letztbeitrag sich vorgenommen, Karomützens sämtliche Verschwörungstheorien zu bestätigen und zu beschwichtigen in einem, sie stellen sich selbst als einen boshaften Haufen von sinnlose Debatten antizipierenden Meinungsmachern und SäueDurchDörferHetzern vor, das hat einen gewissen Schneid, sagte sie, man bekommt tatsächlich Lust, mal wieder ins Büro zu gehen und einen Anruf zu lancieren, der bewirken würde, daß man sie persönlich kennenlernen könnte, die restalkoholisierten unrasierten mit der boshaften Oberschreierin.
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